Dienstag, 9. Februar 2010

Ich habe mich verliebt. Maßlos. In einen kleinen Jungen von elf Jahren. Ok, er ist ein bisschen jung und heiraten werden wir wohl auch nicht, aber selten zuvor hat mir ein Mensch so ein Lächeln auf die Lippen gebracht, wenn er den Raum betritt und man kann sich nicht vorstellen wie gern ich ihm zuhöre, wenn er in den Pausen in die Bibliothek kommt, mir von seinen Interessen erzählt, Sachen fragt um die Welt zu verstehen, mir im Unterricht mit seinen Scherzen ab und zu auf die Nerven geht oder einfach nicht still sein kann... Das entschädigt er aber auch wieder mit seiner Aufmerksamkeit, seiner schnellen Auffassungsgabe und seiner enormen Kreativität. Dieser Junge hat eine so herzliche Art, dass man ihn einfach lieben muss! Jeden Tag habe ich mich gefreut ihn zu sehen und wie das halt so ist, denkt man, man würde die Menschen einschätzen können, sie verstehen oder sie sogar vielleicht zu kennen. So habe ich mir vorgestellt wie er von seiner Mutter morgens geweckt wird, sich fertig macht, vielleicht zusammen mit seinen Eltern frühstückt, sich auf den Weg zur Schule macht, seine Freunde trifft und dann strahlend und gut gelaunt die Schule betritt, so wie ich ihn jedes Mal sehe.
Das ist leider nicht der Fall. Heute habe ich erfahren wie die Realität aussieht. Mein Liebling lebt nicht mehr bei seiner Mama, sondern mit seiner Großmutter zusammen, der Mutter seiner Mutter also, da sie stark drogenabhängig ist, ihre Schule abgebrochen hat und ihr jetzt, aber eigentlich viel zu spät, die Erziehung des Kindes verboten wurde. Der Junge wurde von seinem Vater sowie von ihr psychisch wie physisch schwer misshandelt, hat lange Zeit nicht geredet, musste drei Mal die erste Klasse wiederholen, weil er sich geweigert hat zu reden oder mitzuarbeiten und wurde immer wieder von seiner Mutter verstoßen, musste zur Großmutter ziehen oder wieder zu seiner Mutter zurück, weil sie ihn wieder haben wollte und das Sorgerecht hatte. Sein Vater will schon lange nichts mehr von ihm wissen und keiner weiß, wo er ist.
Vielleicht sogar besser so. Wie gesagt, zur Zeit lebt er mit seiner Oma und die ist unglaublich stolz auf ihren Enkel. Für sie ist er wie ihr eigener Sohn und als er aufgehört hat zu reden, Probleme gemacht hat, aufsässig und aggressiv war, war sie für ihn da und hat zu ihm gehalten. Jetzt ist sie erleichtert, weil sie sein Zustand und sein Verhalten erheblich gebessert haben, seit dem er Weg von seiner Mutter, ihrem neuen Mann und hier in Montebello auf der Schule ist. Leider können Menschen nicht von Luft und Liebe leben, auch keine Großmütter, die ihre Enkel vergöttern. Mich freut es sehr, dass dieser Junge jedenfalls einen Menschen hat, der ihn liebt. Aber dieser Mensch empfängt grade mal eine Rente von 300.000 kolumbianischen Pesos. im Monat. Das beträgt ungefähr 100 €. Davon muss sie die Miete bezahlen, ihre anderen zwei Söhne noch unterstützen und für meinen kleinen Schützling sorgen. Oft kann sie sich nicht mal einmal am Tag was zu Essen leisten und ist deshalb froh, dass ihr Enkel in der Schule alles bekommt. Er solle so wenig wie möglich davon mitbekommen und ihnen würde es immerhin besser gehen als vielen anderen...
Traurig aber wahr. Andere Familien müssen mit diesem Geld zehn Leute versorgen . Es ist auch nicht selten, dass eine Mutter von drei Kindern sich nachts prostituieren muss als einzige Einkunftsmöglichkeit während ihre Kleinen schlafen.
Ich wusste auch vorher, dass solche Geschichten existieren. Auch, dass es viele davon an unserer Schule gibt. Aber wenn man ein Kind kennen lernt, das so aufgeschlossen und interessiert wirkt, vielleicht ein wenig schüchterner als die Anderen, wenn man es im Gegensatz zu vielen so stabil einschätzt und auf einmal so einen Hintergrund erfährt... Man will sich nicht vorstellen, was andere erlebt haben, denen man es anmerkt wie schlimm sie misshandelt wurden.

1 Kommentar:

  1. Hi,
    Du schreibst echt klasse, teilweise echt lustig, wie du die duschsituation beschreibst, mir gehts hier jetzt naemlich genauso :-)
    Aber auch der traurige Part kommt einfach so gut rueber, das man sofort ins nachdenken kommt.
    Ich wuerde gern mehr von dir lesen.

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